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Digitale Transformation und die Evolution der ICT-Berufswelt

Ein aufschlussreiches Interview mit Christian Hunziker beleuchtet die vielschichtigen Entwicklungen in der Berufswelt der Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT), die durch die digitale Transformation hervorgerufen werden.

Hunziker gibt Einblicke in die Verschiebung traditioneller und die Entstehung neuer Berufsbilder und betont, wie ICT-Fachkräfte als Treiber des digitalen Wandels fungieren. Besonders hervorgehoben werden neue tangentiale Berufe wie UX-Designer, die Bedeutung agiler Berufsrollen und die Integration von DevOps-Ingenieuren.

Christian Hunziker ist CEO bei SwissICT und Experte im Bereich ICT. SwissICT ist mit 2500 Mitgliedern der grösste Fachverband der Branche und der einzige Verband, der ICT-Anbieter, -Anwender und -Fachleute in der Schweiz verbindet

Interviewer (I): Wie hat die digitale Transformation die Landschaft der Berufe in der ICT verändert und welche neuen Berufsbilder sind dadurch entstanden?

Christian Hunziker (CH): Die Berufsbilder in der Informatik haben sich durch die digitale Transformation nicht so stark verändert wie in anderen Bereichen, weil wir eher die Treiber dieser Veränderung waren. Allerdings sind mit der Zeit neue sogenannte ‚Tangentialberufe‘ in den Vordergrund gerückt, wie z.B. UX-Designer, die sich mit Nutzererfahrung und der ästhetischen Gestaltung von Software befassen, was früher weniger im Fokus stand.

Die Bedeutung von Agilität hat ebenfalls zugenommen, und wir sehen eine Verschiebung hin zu agilen Berufen wie Scrum Master oder Product Owner, während traditionelle Rollen wie Softwareentwickler relativ stabil geblieben sind, obwohl die Branche insgesamt wächst. Zudem gibt es neue Berufsbezeichnungen wie DevOps-Ingenieur, die die Veränderungen im Feld widerspiegeln.

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I: Aus Ihrer Sicht, welche sind die grössten Herausforderungen, denen Fachkräfte in der ICT heute gegenüberstehen?

CH: Die grössten Herausforderungen im ICT-Bereich lassen sich in zwei Hauptströmungen teilen. Einerseits ist die Nachfrage nach Kern-ICT-Fachkräften, wie Applikationsentwicklern und DevOps-Ingenieuren, stark gestiegen, da immer mehr betriebliche Prozesse digital unterstützt werden. Dies hat zu einem massiven Bedarf an qualifizierten Fachkräften geführt – wir haben heute eine viel grössere Anzahl an ICT-Fachkräften als noch im Jahr 1990. Andererseits integrieren sich sogenannte Tangentialberufe immer mehr in die Kernbereiche der Informatik, was die Grenzen zwischen IT-spezifischen und anderen Berufsfeldern verwischt.

Die IT-Kompetenzen werden zunehmend auch in Berufen erwartet, die traditionell nicht IT-fokussiert waren. Früher war beispielsweise die Durchführung einer Videokonferenz eine spezialisierte Fähigkeit, heute ist sie ein alltäglicher Bestandteil vieler Berufe. Das Wissen um und die Anwendung von IT-Kompetenzen wird also immer mehr zur Grundvoraussetzung in der Arbeitswelt.

I: Welche Schlüsselkompetenzen und Fähigkeiten sind Ihrer Meinung nach notwendig, um in der sich ständig weiterentwickelnden ICT-Branche erfolgreich zu sein?

CH: Die Schlüsselkompetenzen in der ICT sind vor allem das lebenslange Lernen und die Anpassungsfähigkeit an neue Technologien und Prozesse, da sich die Branche schnell weiterentwickelt.

I: Können Sie erklären, welche Rolle SwissICT spielt, um Unternehmen und Fachkräften dabei zu helfen, sich in der digitalen Ära zurechtzufinden und sich weiterzuentwickeln?

CH: Erstens bietet SwissICT Plattformen und Veranstaltungen zur Vernetzung an. Mit jährlich zwischen 80 und 100 Veranstaltungen und einer Teilnehmerzahl von 2.500 bis 3.500 Personen schafft SwissICT ein Umfeld für den Wissensaustausch und die Zusammenarbeit in der ICT-Branche.

Zweitens engagiert sich SwissICT in Fach- und Arbeitsgruppen, um neues Wissen zu erarbeiten und relevante Studien zu erstellen. Ein aktuelles Beispiel ist der Digital Excellence Report, der auf dem Digital Excellence Checkup basiert. Durch die Analyse von Daten aus über 600 Unternehmen und 1300 Einreichungen werden Erkenntnisse über den Stand der digitalen Reife in verschiedenen Bereichen gewonnen und praktische Empfehlungen abgeleitet.

Drittens stellt SwissICT konkrete Werkzeuge und Dienstleistungen bereit, sowohl für Unternehmen als auch für Fachkräfte. Für Unternehmen bietet SwissICT beispielsweise den Digital Excellence Check-up an, der die digitale Reife eines Unternehmens über verschiedene Aspekte hinweg misst und Handlungsempfehlungen liefert. Neuere Ergänzungen wie der Innovation Check-up und der Cloud Maturity Check-up unterstreichen die Anpassungsfähigkeit von SwissICT an aktuelle Trends und Bedürfnisse der Branche.

I: Welche ICT-Berufe sehen Sie als besonders zukunftsträchtig an, und warum?

CH: Wenn wir uns die Zukunft der ICT-Berufe ansehen, zeigt sich, dass der klassische Plan-Build-Run-Cluster sowie agile und Führungsberufe starkes Wachstumspotenzial haben. Allerdings könnte der RAN-Bereich aufgrund der zunehmenden Nutzung von Cloud-Lösungen an Bedeutung verlieren. Im Grossen und Ganzen wird die Digitalisierung weiterhin die Nachfrage nach ICT-Berufen vorantreiben.

I: Wie sollte die ICT-Branche Ihrer Meinung nach Talente fördern, um den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen begegnen zu können?

CH: Um Talente für die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen in der ICT-Branche zu fördern, sehe ich zwei Hauptaspekte. Erstens muss die Unterstützung von Quereinsteigern verstärkt werden. Traditionelle Ausbildungswege allein reichen nicht aus, um den Bedarf an Fachkräften zu decken. Wir müssen Personen, die nicht den konventionellen Weg einer IT-Lehre oder eines IT-Studiums gegangen sind, besser in die Branche integrieren. Dies erfordert einen Wechsel in der Rekrutierungsstrategie von einem Fokus auf vorhandene Fähigkeiten hin zu einem Potenzialbasierten Ansatz. Grosse Unternehmen müssen bereit sein, Quereinsteiger besser zu unterstützen und entsprechende Onboarding-Prozesse anzubieten.

Zweitens müssen wir verschiedene unterrepräsentierte Personengruppen gezielter ansprechen. Die Förderung von Frauen in der Informatik ist ein wichtiges Anliegen, da Frauen derzeit nur einen geringen Anteil der Fachkräfte in der Branche ausmachen. Dies erfordert jedoch eine frühzeitige Förderung bereits im Kindergartenalter sowie die Änderung des öffentlichen Bildes von Informatikberufen. Darüber hinaus müssen wir uns um Personen mit Neurodiversität wie Asperger oder Autismus kümmern, um ihre Potenziale voll auszuschöpfen. Auch Migranten und ältere Fachkräfte dürfen nicht vernachlässigt werden. Es ist wichtig, Programme zu entwickeln, die Migranten mit IT-Kenntnissen unterstützen, und sicherzustellen, dass ältere Fachkräfte nicht aufgrund von Vorurteilen oder Altersdiskriminierung aus der Branche ausscheiden.

(I): Welchen Rat würden Sie Personen geben, die eine Karriere in der ICT anstreben oder in diesem Bereich weiterkommen möchten?

CH: Wenn es darum geht, Personen, die eine Karriere in der ICT anstreben oder in diesem Bereich weiterkommen möchten, zu beraten, halte ich zwei wichtige Botschaften für entscheidend. Erstens sollten sie wissen, dass die Arbeit in der Informatik äusserst interessant, vielfältig und erfüllend sein kann. Es ist weit mehr als nur das Bild des einsamen Technikers, der Chips zusammenlötet oder Code schreibt. In der Informatik gibt es ständig neue Herausforderungen und ständiges Lernen, wodurch der Beruf alles andere als langweilig ist.

Zweitens ist es wichtig, das veraltete Klischee von Informatikern als unsoziale, ungepflegte Einzelgänger zu überwinden. Dieses falsche Bild, das oft in Filmen und Medien vermittelt wird, muss korrigiert werden. Informatik ist eine äusserst kommunikative und abwechslungsreiche Tätigkeit, die viel Freude bereiten kann. Es ist an der Zeit, dieses Missverständnis zu klären und die Vielfalt und Dynamik der Informatikbranche zu zeigen.

In unserem Gespräch mit Christian Hunziker erhalten wir prägnante Einblicke in die sich wandelnde ICT-Branche, die von der digitalen Revolution geprägt ist. Hunziker beleuchtet die Bedeutung von Anpassungsfähigkeit, die Rolle von SwissICT und die Notwendigkeit, überholte Klischees zu überwinden. Das Interview unterstreicht die Bedeutung des lebenslangen Lernens und der Vielfalt in der ICT-Branche und motiviert all jene, die in dieser dynamischen Branche Fuss fassen oder sich weiterentwickeln möchten.